„Gibt es einen Gott, über dessen Existenz kein Mensch zu entscheiden vermag, so ist der Zweifel an seiner Existenz nichts als der von Gott gewählte Schleier, den er vor sein Antlitz senkt, seine Existenz zu verbergen; gibt es ihn nicht, so sind die Worte, mit denen wir über ihn spekulieren, in den Wind gesprochen, der sie davonträgt wie alle menschlichen Worte.
Gott liegt gänzlich außerhalb jeder Rede, jeder Sprache, seine offenbarten Worte, unabhängig vom Glauben an sie und an ihn, auch wenn wir ihn nur fingieren als Wesen außerhalb der Welt, dringen in unsere Wortsphäre von außen, wie Meteore in die Erdatmosphäre, vom gänzlich Sprachlosen und Begriffslosen her: eine bedeutendere Sprachkonzeption, eine gewagtere Fiktion kann es nicht geben, ob es eine „wahre“ Konzeption ist, bleibt unbeweisbar, aber auch im Bereich des Logischen unwesentlich, der menschliche Geist verhält sich konzipierend, nicht „wahr“, er dringt in die „Wahrheit“ vermittels Konzeptionen, er ist nicht identisch mit der Wahrheit.
„Gott ist tot“ ist ein ebenso nebensächlicher Satz wie „Die Null ist tot“. Die „Wirklichkeit“ hat weder einen Gott noch die Null nötig, ebensowenig wie der Sternenhimmel die Teleskope.“
[Friedrich Dürrenmatt, „Zusammenhänge/Nachgedanken“, 1998]