Schlagwort-Archiv: Identität

Freiheit und Wille

„Alle Menschen denken sich dem Willen nach als frei. Daher kommen alle Urteile über Handlungen als solche, die hätten geschehen sollen, ob sie gleich nicht geschehen sind.

Freiheit aber ist eine bloße Idee, deren objektive Realität auf keine Weise nach Naturgesetzen, mithin auch nicht in irgend einer möglichen Erfahrung dargetan werden kann, die also darum, weil ihr selbst niemals nach irgend einer Analogie ein Beispiel untergelegt werden mag, niemals begriffen oder auch nur eingesehen werden kann. Sie gilt nur als notwendige Voraussetzung der Vernunft in einem Wesen, das sich eines Willens, d.i. eines vom bloßen Begehrungsvermögen noch verschiedenen Vermögens (nämlich sich zum Handeln als Intelligenz, mithin nach Gesetzen der Vernunft, unabhängig von Naturinstinkten zu bestimmen) bewußt zu sein glaubt. Wo aber Bestimmung nach Naturgesetzen aufhört, da hört auch alle Erklärung auf, und es bleibt nichts übrig als Verteidigung, d.i. Abtreibung der Einwürfe derer, die tiefer in das Wesen der Dinge geschaut zu haben vorgeben und darum die Freiheit dreist für unmöglich erklären.“

[Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785]

i.c.h.

„We commonly do not remember that it is, after all, always the first person that is speaking. I should not talk so much about myself if there were any body else whom I knew as well. Unfortunately, I am confined to this theme by the narrowness of my experience.“

[Henry David Thoreau in „Walden; or, life in the woods“, 1854]

 

 

wesentlich leben

„Manchmal möchte ich zu einer beschwerlichen, ernstzunehmenden Wanderung aufbrechen, ein wesentlicheres Leben führen, eine tiefe Erfahrung machen, mich bei Hitze und Kälte, Tag und Nacht im Freien aufhalten; mehr leben, mehr Luft verbrauchen, mich ermüden.

Doch dann stellt sich rasch der Gedanke ein: Schweife nicht so weit ab von deinen Wegen um eines echteren Lebens willen, sondern halte dich an den Pfad, den dein Genius dir weist. Tu die Dinge, die dir am nächsten liegen, aber schwierig sind. Lebe ein ursprünglicheres, bewussteres und mühevolleres Leben, sei wahrhaftiger zu deinen Freunden und Nachbarn, sei nachsichtiger und großzügiger.

Das wäre besser als ein stürmischer Aufbruch.“

[Aus den Tagebüchern Henry David Thoreaus, 1817-1862, übersetzt und herausgegeben von Susanne Schaup]

„Ich habe mich selbst gesucht.“

„Das Denken ist der größte Vorzug,

und die Weisheit besteht darin,

die Wahrheit zu sagen und

nach der Natur zu handeln,

auf sie hinhörend.

Allen Menschen ist es gegeben sich selbst zu erkennen und klug zu sein.“

 

[Heraklit aus Ephesus ((ca.550 v. Chr. – ca.475 v. Chr.) in „Fragmente“ nach der Übersetzung von Hermann Diels, 1901]

(M)ein Dorf…

„Ein Dorf brauchst du, und wäre es nur, damit du es hin und wieder gerne verläßt. Ein Dorf – das bedeutet: du bist nicht allein, du weißt, in den Menschen, in den Pflanzen, in der Erde lebt ein Stück von dir, das, auch wenn du selbst nicht da bist, bleibt und auf dich wartet. Aber es ist nicht leicht, dabei ruhig zu sein. Seit dem einen Jahr, da ich dieses Dorf im Sinn trage und, sowie ich kann, von Genua herübereile, schlüpft es mir aus den Händen. So etwas wird dir mit der Zeit und mit der wachsenden Einsicht klar. Ist es möglich, daß ich mit vierzig Jahren, ich, der soviel von der Welt gesehen hat, noch nicht weiß, was das ist: mein Dorf.“

[Cesare Pavese, Junger Mond – Titel der italienischen Originalausgabe „La Lune e i falo“, 1950]

 

Antagonismus der menschlichen Natur

„Ich verstehe hier unter dem Antagonism die ungesellige Geselligkeit der Menschen, d.i. den Hang derselben in Gesellschaft zu treten, der doch mit einem durchgängigen Widerstande, welcher diese Gesellschaft beständig zu trennen droht, verbunden ist. Hierzu liegt die Anlage offenbar in der menschlichen Natur. Der Mensch hat eine Neigung sich zu vergesellschaften: weil er in einem solchen Zustande sich  mehr als Mensch, d.i. die Entwickelung seiner Naturanlagen, fühlt. Er hat aber auch einen großen Hang sich zu vereinzelnen (isoliren): weil er in sich zugleich die ungesellige Eingenschaft antrifft, alles bloß nach seinem Sinne richten zu wollen, und daher allerwärts Widerstand erwartet, so wie er von sich selbst weiß, daß er seinerseits zum Widerstand gegen andere geneigt ist. Dieser Widerstand ist es nun, welcher alle Kräfte des Menschen erweckt, ihn dahin bringt seinen Hang zur Faulheit zu überwinden und, getrieben von Ehrsucht, Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen, die er nicht wohl leiden, von denen er aber auch nicht lassen kann.“

(aus Immanuel Kant, „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“, 1784)

fascination foucault

„Ich denke niemals völlig das gleiche, weil meine Bücher für mich Erfahrungen sind. Erfahrungen im vollsten Sinne, den man diesem Ausdruck beilegen kann. Eine Erfahrung ist etwas, aus dem man verändert hervorgeht. Wenn ich ein Buch schreiben soll, um das mitzuteilen, was ich schon gedacht habe, ehe ich es zu schreiben begann, hätte ich niemals die Courage, es in Angriff zu nehmen. Ich schreibe nur, weil ich noch nicht genau weiß, was ich von dem halten soll, was mich so sehr beschäftigt. So dass das Buch ebenso mich verändert wie das, was ich denke … Ich bin ein Experimentator in dem Sinne, dass ich schreibe, um mich selbst zu verändern und nicht mehr dasselbe zu denken wie zuvor.“

(Michel Foucault „Der Mensch ist ein Erfahrungstier. Gespräch mit Ducio Trombadori“, Frankfurt/M. 1997, S.24)